Großdeutsche

Großdeutsche
Groß|deut|sche(r) 〈f. 30 (m. 29)〉 Angehörige(r) der Bestrebungen, Deutschland mit Österreich (u. dem Sudetenland) zu vereinigen; Ggs Kleindeutsche(r)

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Großdeutsche,
 
seit der Revolution 1848/49 Vertreter einer nationalpolitischen Richtung, die die deutsche Frage durch den staatlichen Zusammenschluss möglichst aller (geschlossen siedelnden) Deutschen in Mitteleuropa zu lösen suchte; knüpften in der Frankfurter Nationalversammlung (1848/49) an die Tradition der Befreiungskriege und danach v. a. an Burschenschaften an, konnten sich aber nicht durchsetzen.
 
In der Frankfurter Nationalversammlung widersetzten sich die Großdeutschen sowohl F. von Schwarzenbergs Ziel der Einbeziehung des gesamten österreichischen Staates (mit den nichtdeutschen Nationalitäten) als auch den Bestrebungen der kleindeutsch-erbkaiserlichen Gruppe. Geführt von A. von Schmerling, umfasste die großdeutsche Gruppe neben den deutschen-sprachigen Abgeordneten Österreichs meist Katholiken, Föderalisten und Partikularisten der deutschen Mittel- und Kleinstaaten, süddeutsche Demokraten, Politiker aller Richtungen, die mehr durch Abneigung gegen eine preußische Führung als durch ein festes Programm verbunden waren.
 
Im wiederhergestellten Deutschen Bund standen K. L. von Brucks Bemühen um eine mitteleuropäische Wirtschaftseinheit und die Triasidee unter großdeutschem Aspekt. Frankreichs und Sardinien-Italiens Krieg gegen Österreich 1859 ließ auch die großdeutsche Bewegung wieder erwachen (1862 Gründung des Deutschen Reformvereins, 1863 Frankfurter Fürstentag). O. von Bismarck sah - nach dem Sieg im Deutschen Krieg 1866 - im Norddeutschen Bund (1867), in der Gründung des Deutschen Reiches 1871 und im Zweibund 1879 die Erfüllung von H. von Gagerns Programm des engeren und weiteren Bundes und damit die Überwindung des Gegensatzes zwischen großdeutsch und kleindeutsch; doch seine innenpolitischen Gegner (Polen, Welfen, der größte Teil des Zentrums und der Sozialdemokraten) bekannten sich weiter zum großdeutschen Gedanken. In Österreich vertraten besonders die Liberalen den großdeutschen Anspruch. Die politische und militärische Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn bis in den Ersten Weltkrieg (1914-18) ließ den Gegensatz zwischen Großdeutschen und Kleindeutschen in den Hintergrund treten.
 
Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches und dem Untergang Österreich-Ungarns (November 1918) nahmen die verfassunggebenden Körperschaften des Deutschen Reiches und Deutschösterreichs in der Weimarer Reichsverfassung beziehungsweise in der österreichischen Verfassung den großdeutschen Gedanken auf; sie beriefen sich dabei auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker (Vierzehn Punkte). Auch die Sudetendeutschen votierten für einen Anschluss an Deutschland; im Versailler Vertrag (mit Deutschland; Art. 80) und im Vertrag von Saint-Germain (mit Österreich; Art. 88) verboten die Siegermächte 1919 jedoch den »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich (erneut im Genfer Protokoll, 4. 10. 1922). Eine vom Nationalrat in Wien beschlossene Volksabstimmung kam durch den Druck der Siegermächte nicht zustande. In der Folgezeit verfocht besonders die Großdeutsche Volkspartei in Österreich den großdeutschen Gedanken. Innerhalb der Christlichsozialen Partei gab es großdeutsche Strömungen. Nach dem fehlgeschlagenen Putsch österreichischer Nationalsozialisten (25. 7. 1934 Ermordung von E. Dollfuß) verschärfte die deutsche Regierung unter A. Hitler ihren Druck auf Österreich und erzwang im März 1938 mit militärischen Mitteln dessen »Anschluss« an das Deutsche Reich (»Großdeutschland« beziehungsweise »Großstädtisches Reich«), dem noch 1938 die Sudetengebiete und 1939 das »Protektorat Böhmen und Mähren« zugefügt wurden. Mit der militärischen Niederlage Deutschlands und der Wiedererrichtung der Republik Österreich (1945) wurde der großdeutsche Gedanke gegenstandslos.
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Deutschland: Die deutsche Einigung im 19. Jahrhundert
 

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Groß|deut|sche, der u. die: Anhänger[in] großdeutscher (a) Bestrebungen.

Universal-Lexikon. 2012.

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